Mehr­wert­steu­er­pflicht bei der Fir­men­grün­dung:

Ein häufiger Stolperstein

Firmengründer stehen oft vor der Frage, ab wann genau die Mehrwertsteuerpflicht beginnt und ab wann diese entsprechend gemeldet und bezahlt werden muss.

Urteil vom 10. August 2022 (A-4472/2021) des Schweizer Bundesverwaltungsgerichts

Der Fall:

Die X-GmbH war seit dem 2. Juli 2014 im Bereich der Beratung tätig. Der Fragebogen zur Klärung der Mehr­wert­steu­er­pflicht wurde von der X-GmbH jedoch erst am 3. Juli 2019 eingereicht, da die Umsätze bisher unter der Grenze von CHF 100'000 lagen:

  • 2014: CHF 78'500
  • 2015: CHF 65'500
  • 2016: CHF 97'439
  • 2017: CHF 87'585
  • 2018: CHF 99'180

Die Eidgenössische Steu­er­ver­wal­tung (ESTV) trug die X-GmbH rückwirkend ab dem 2. Juli 2014 (bis zum 31. Dezember 2015) in das Register der Mehr­wert­steu­er­pflichtigen ein und stellte die geschuldete Mehrwertsteuer einschliesslich Verzugszinsen nachträglich in Rechnung. Die X-GmbH widersprach dieser Steuerpflicht, doch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 10. August 2022 die Richtigkeit der MWST-Pflicht und somit auch die unangenehme Nachzahlung der Mehrwertsteuer.

Der Stolperstein:

In diesem Fall erzielte die X-GmbH in den ersten drei Monaten nach Aufnahme ihrer Geschäftstätigkeit einen Umsatz von CHF 30'000. Hochgerechnet auf ein Jahr ergibt sich daraus ein Betrag von CHF 120'000 – damit wurde die Umsatzgrenze überschritten und die Steuerpflicht war gegeben!

Zur Erinnerung: Die Steuerpflicht beginnt:

  1. für Unternehmen mit Sitz im Inland:
    • mit der Auf­nah­me der un­ter­neh­me­ri­schen Tätigkeit
      In­di­ka­to­ren für die Auf­nah­me der Tätigkeit sind beispielsweise:
      • Eintrag ins Han­dels­re­gis­ter einer ju­ris­ti­schen Person;
      • Erstellung der Sta­tu­ten eines Vereins;
      • Abschluss eines Ge­sell­schaf­ter­ver­trags für eine einfache Ge­sell­schaft.
  2. für alle anderen Un­ter­neh­men:
    • mit der erstmaligen Erbringung einer Leistung im Inland.

Von der Steuerpflicht befreit ist, wer:

  • im In- und Ausland einen Jahresumsatz von weniger als CHF 100'000 aus Leistungen erzielt, die nicht gemäss Art. 21 MWSTG von der Steuer ausgenommen sind.
  • als nicht gewinnorientierter, ehrenamtlich geführter Sport- oder Kulturverein oder als gemeinnützige Organisation im In- und Ausland einen Jahresumsatz von weniger als CHF 250'000 aus Leistungen erzielt, die nicht gemäss Art. 21 MWSTG von der Steuer ausgenommen sind.

Wichtig: Die Umsatzgrenze bemisst sich nach den vereinbarten Entgelten exklusive MWST.

Die Steuerpflicht endet:

  1. für Unternehmen mit Sitz im Inland:
    • mit der Beendigung der Geschäftstätigkeit:
    • mit dem Abschluss des Liquidationsverfahrens.
  2. für alle anderen Unternehmen:
    • am Ende des Kalenderjahres, in dem letztmals eine Leistung im Inland erbracht wurde.
  3. beim Unterschreiten der relevanten Umsatzgrenzen:
    • frühestens zum Ende des Kalenderjahres, in dem die Umsatzgrenzen nicht mehr erreicht wurden und es zu erwarten ist, dass diese auch im folgenden Steuerjahr nicht überschritten werden.
  •  

Beginn der Steuerpflicht:

Wenn bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit keine klare Einschätzung möglich ist, ob die Umsatzgrenzen überschritten werden, muss spätestens nach drei Monaten eine erneute Bewertung vorgenommen werden:

Einnahmen der ersten drei Monate
+ ausgestellte Rechnungen (offene Forderungen)
+ noch nicht ab­ge­rech­ne­te laufende Arbeiten
= Gesamtbetrag x 4 = massgebender Umsatz für die Steuerpflicht

Wenn die Neubeurteilung zeigt, dass die Umsatzgrenze über­schrit­ten wird, endet die Befreiung von der Steuerpflicht wahlweise:

  • rückwirkend mit Beginn der Geschäftstätigkeit (freiwillig) oder
  • mit Beginn des vierten Monats (obligatorisch)

An- / Abmelden:

Vorgehen beim Anmelden:

  • Anmeldung innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der Steuerpflicht (unaufgefordert)
  • Einreichen des elektronischen Fragebogens (mit elektronischer Eingangsbestätigung durch die ESTV)
  • Eintragung ins MWST-Register (wird von der ESTV mit Bekanntgabe der MWST-Nummer bestätigt)

Vorgehen beim Abmelden:

  • Elektronische Abmeldung an die ESTV innerhalb von 30 Tagen nach Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit bzw. nach Ende der Steuerperiode (spätestens nach Abschluss des Liquidationsverfahrens)
  • Elektronische Abmeldung an die ESTV innerhalb von 60 Tagen nach Ende der Steuerperiode beim Unterschreiten der massgebenden Umsatzgrenzen

Wichtig: Wenn die Abmeldung bei weiterbestehenden Unternehmen unterlassen wird, geht die ESTV davon aus, dass auf die Befreiung von der Steuerpflicht verzichtet wird.

Das Fazit:

Die X-GmbH hätte sich drei Monate nach ihrer Gründung anmelden und nach Ende des ersten kurzen Geschäftsjahres wieder abmelden müssen.

Unternehmen, die aufgrund der niedrigen Umsätze nicht steu­er­pflich­tig sind, müssen regelmässig überprüfen, ob sie später steuerpflichtig werden. Ebenso gilt: Wenn ein Unternehmen nach Erreichen der Steuerpflicht wieder unter die Umsatzgrenze fällt, muss es sich erneut bei der ESTV abmelden.